Operations Research
Im Windschatten der KI
Künstliche Intelligenz kennt heute jeder. Operations Reserach (OR) ist nur Spezialisten ein Begriff. Einer von ihnen ist Hans-Jürgen Zimmermann. Als er 1969 INFORM gründet, gelingt bereits früh, was heute das große Versprechen von KI ist: Mit Algorithmen Prozesse schneller und zuverlässiger zu gestalten.
Technologien auf Basis Künstlicher Intelligenz (KI) gelten als Inbegriff des modernen Fortschritts. KI fasziniert Menschen und schafft es regelmäßig in die Schlagzeilen. Im wirtschaftlichen Umfeld sind Methoden wie Machine Learning, Neuronale Netze oder Big Data allgemein bekannt. Dagegen wirkt die altehrwürdige mathematische Disziplin Operations Research (OR) eher unscheinbar.
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Operations Research heißt, das Gesamte zu sehen. Unsere Programme gehen von der lokalen Optimierung zu einer globalen über!
Künstlicher Intelligenz und OR sind verwandt
OR macht keine Schlagzeilen. Niemand regt sich darüber auf. „Der Begriff ist nicht besonders einprägsam, oder?“, sagt Hans-Jürgen Zimmermann, Wirtschaftswissenschaftler und OR-Pionier. „Daran hat sich in den letzten 60 Jahren wenig geändert.“ Dabei sind KI und OR verwandt und ergänzen sich. Ohne OR wären Unternehmen heute kaum in der Lage, in einer immer komplexeren Welt mit zahlreichen Abhängigkeiten fundierte Entscheidungen zu treffen. Und ohne Machine Learning und Big Data würden die dazu notwendigen Daten nicht in der erforderlichen Qualität zur Verfügung stehen.
OR ist eine intelligente Entscheidungshilfe für Menschen, die komplexe Systeme verwalten. OR ist zudem interdisziplinär: Die Anwender legen ein Ziel fest, sei es eine höhere Produktqualität, besseren Service, geringere Ausgaben oder weniger Risiken. Dazu ermitteln sie alle Einflussfaktoren, seien es wirtschaftliche, soziale, psychologische oder physikalische. Mittels mathematischer Techniken errechnet die Software schließlich eine optimierte Lösung. Während KI basierend auf Logik Prognosen errechnet, um Prozesse zu automatisieren, modelliert OR laufende Prozesse und optimiert sie. Beide Ansätze vermischen sich heute mehr und mehr.
Breit gefächertes Einsatzspektrum
Diese Kombination sorgt dafür, dass das Einsatzspektrum für OR jetzt und in Zukunft sehr breit gefächert ist. Produktion, Logistik, öffentlicher Verkehr, Gesundheitswesen, Energie, Bildung, Politik – OR- Anwendungen prägen heute mehr Lebensbereiche, als vielen bewusst ist. Ob bei der Modellierung ausgeglichener Wahlkreise, der Organisation von verlässlichen Patiententerminen für Krankenhäuser, der Berechnung von effizienten Produktionsreihenfolgen für Industrieunternehmen oder der Planung schneller Auslieferungsrouten für Spediteure, aus all diesen alltäglichen Situationen ist OR mit seinen mathematischen Modellen und Algorithmen kaum mehr wegzudenken.
Im gleichen Maße, wie die heutzutage überall verfügbaren Daten für ein besseres Verständnis von Geschäftsprozessen genutzt werden, wächst auch die Erkenntnis, dass Mathematik und Algorithmen unabdingbar sind, um aus diesem Wissen die bestmöglichen Entscheidungen abzuleiten. So hat sich, ohne dass der Begriff öffentliche Diskussionen auslösen würde, OR im Windschatten der KI unverzichtbar gemacht.
Pionierleistung
Bis dahin jedoch war es ein weiter Weg. Die mathematischen Methoden des OR mussten zunächst einmal für industrielle Zwecke anwendbar gemacht werden. INFORM und seinem Gründer Hans-Jürgen Zimmermann ist dies als einem der ersten Unternehmen gelungen. „Ich wollte beweisen, dass OR zu besseren Entscheidungen verhilft“, sagt Zimmermann. „Unternehmen können damit eine Menge Geld sparen“. Er gründete 1969 mit einem kleinen Team die Firma INFORM.
Am Anfang war Zimmermann für jedes Problem zu begeistern, zum Beispiel, wie eine Kellerei mit OR den optimalen Sekt herstellen könnte. „Sekt ist in der Regel ein Cuvée, die Kellerei schüttet also verschiedene Weine zusammen, damit der Sekt bestimmte Eigenschaften aufweist“, sagt Zimmermann. „Normalerweise verlässt sich der Kellermeister auf seine Erfahrung. Er mischt, probiert, passt die Mischung an, probiert wieder, und so weiter.“ Der Nachteil bei dieser Methode: Man benötigt viel Zeit und verbraucht durch das ständige Mischen, Probieren und Wegschütten viele Rohmaterialien, für welche auch entsprechende Lagerkapazitäten zur Verfügung stehen müssen. INFORM ging es mathematisch an – man formulierte eine lineare Zielfunktion, ausgehend von den Eigenschaften der Weine wie Zucker und Säure-Gehalt. Als Zielbedingung konnte die Kellerei die Kostensenkung, die Geschmacksoptimierung oder beides festlegen.
Entscheidungen auf Basis von OR widersprechen oft dem Bauchgefühl. Aber was dem Einzelnen nicht effizient erscheint, kann für das Ganze ein großer Vorteil sein!
Nach der Skepsis kam der wirtschaftliche Erfolg
Wirtschaftlicher Erfolg ließ sich mit solchen Projekten jedoch nicht erzielen. Viele Unternehmen, die Zimmermann ansprach, waren zwar interessiert, aber ebenfalls skeptisch. „Entscheidungen, die auf OR basieren, widersprechen oft dem Bauchgefühl“, sagt Zimmermann. „Aber was dem Einzelnen nicht effizient erscheint, kann für das Unternehmen ein großer Vorteil sein.“ Einen solchen Vorteil erkannte Zimmermann an der Art und Weise, wie eine Firma, die er aufsuchte, mit dem eigenen Fuhrpark umging. Jede Abteilung vergab individuelle Fahraufträge. Ein Fahrer fuhr für die Montage in die Nachbarstadt und kam mit voller Ladung zurück. Der Vertrieb schickte wenige Stunden später einen zweiten Fahrer mit vollem Laderaum in dieselbe Stadt – er kehrte nun mit leerem Auto zurück. „Das ist für einen OR‘ler schwer zu ertragen“, sagt Zimmermann. INFORM entwickelte Modelle, die den Fuhrpark optimierten: Die Software sammelte Fahraufträge und kombinierte sie intelligent. Den Abteilungen schien es zwar ineffizient, dass ihr Auftrag warten musste. Aber das Gesamtsystem profitierte – die Firma sparte überflüssige Fahrten. „Abteilungen denken oft lokal“, sagt Zimmermann. „OR heißt, das Gesamte zu sehen. Unsere Programme gehen von der lokalen Optimierung zu einer globalen über.“
Bis heute zeichnet INFORM die Leidenschaft aus, das kleinste Sandkorn aus jedem noch so großen Getriebe zu pusten. Denn OR hat sich im Windschatten der KI unverzichtbar gemacht!
Erste Standardsoftware
Im Rahmen einer solchen innerbetrieblichen Transportoptimierung entwickelte INFORM gegen Ende der 1970er Jahre eines seiner ersten Standardprodukte. Die Software SyncroTESS optimiert heute von der Baustofflogistik über den Containerumschlag bis hin zum Yard Management großer Automobilhersteller in zahlreichen Branchen logistische Prozesse im Bereich der Transportlogistik. 1991 wurde die Software erstmals auch am Frankfurter Flughafen zur Steuerung der komplexen Bodenabfertigung von Flugzeugen eingesetzt. Der Einstieg in die Luftfahrtbranche bedeutete auch den Beginn der Internationalisierung von INFORM. Heute fertigt das INFORM-System unter dem Namen GroundStar täglich bis zu 20.000 Flüge an weltweit mehr als 170 Flughäfen ab. In den folgenden Jahren erschloss sich INFORM neue Märkte und entwickelte neue Systeme, die in Industrie, Handel, Häfen, Banken und Versicherungen im Einsatz sind.
Dabei half, dass sich ab Mitte der 1980er Jahre die Bedingungen für OR verbesserten. Bis dahin waren Daten Mangelware. Ein Teil der Arbeit bestand darin, Daten überhaupt digital zu erfassen. Heute entstehen sie im Sekundentakt: Industrie, Handel, Universität, Bibliothek, Krankenhaus – alle produzieren unaufhörlich Daten. Das Gute daran: Je mehr Daten zur Verfügung stehen, desto besser funktionieren Verfahren wie OR, desto breiter auch das Einsatzspektrum.
Beweis erbracht
Der Beweis, wozu OR fähig ist – er ist INFORM und Zimmermann also längst gelungen. Bis heute zeichnet INFORM die Leidenschaft aus, das kleinste Sandkorn aus jedem noch so großen Getriebe zu pusten. Dazu wird es auch in Zukunft viele Möglichkeiten geben. Die Kombination von Big Data, Statistik und Machine Learning mit den Optimierungsalgorithmen des OR bietet neue Einsatzmöglichkeiten und unterstützt Unternehmen bei der digitalen Transformation.
Operations Reserach - die Historie
Viele Geschäftsprozesse gehen zurück auf grundlegende mathematische Probleme, die mit Operations Research gelöst wurden und werden! Mathematiker beschäftigen sich damit schon länger, als die Disziplin OR besteht.