Interview mit Dr. Ulrich Dorndorf
Wer hat Angst vor einem Schachcomputer?
INFORM setzt in vielen seiner Software-Produkten auf Methoden der Künstlichen Intelligenz (KI). Damit unterstützen die IT-Systeme Unternehmen, in hochkomplexen Entscheidungssituationen aus einer Vielzahl an Möglichkeit innerhalb kürzester Zeit die bestmögliche Lösung zu finden. Dr. Ulrich Dorndorf, Chief Technical Officer bei INFORM, erläutert im Gespräch, in welcher Weise INFORM Künstliche Intelligenz nutzt, welche Rolle sie zukünftig spielen wird und welche Chancen und Risiken sich daraus ergeben.
? Der Begriff Künstliche Intelligenz ist derzeit in aller Munde. Doch was genau versteht man darunter?
Der Begriff Künstliche Intelligenz beschreibt die Entwicklung von Softwaresystemen, die intelligentes Verhalten zeigen. Dabei ist der Begriff Intelligenz nicht in seinem umfassenden Sinn zu verstehen, wie wir ihn für Menschen verwenden. Künstliche Intelligenz funktioniert nur in klar definierten Bereichen. Innerhalb eines solchen Bereichs soll ein Softwaresystem intelligentes, menschliches Verhalten nachahmen. In Verbindung mit entsprechenden Rechenleistungen erzielen Systeme mit Künstlicher Intelligenz in diesen Teilbereichen bessere Leistungen als der Mensch. Nehmen wir zum Beispiel den Schachcomputer: Da er in kürzester Zeit alle möglichen Spielzüge durchrechnen kann und mit jedem Zug sinnvolle von weniger sinnvollen Spielhandlungen zu unterscheiden lernt, spielt er wesentlich besser als Menschen. Allerdings kann ein Schachcomputer seine spezifische Intelligenz nur beim Schach anwenden, sonst nirgendwo. Aber die Möglichkeit, durch Künstliche Intelligenz in speziellen Bereichen effektiver zu sein als der Mensch, hilft vor allem Unternehmen dabei, betriebliche Prozesse zu planen und zu optimieren. Viele dieser Prozesse wären bereits heute ohne die Hilfe von KI nicht mehr effizient durchführbar.
"KI funktioniert nur in klar definierten Bereichen. Aber mithilfe Künstlicher Intelligenz in speziellen Bereichen effektiver als der Mensch zu sein, hilft Unternehmen dabei, betriebliche Prozesse zu optimieren."
Dr. Urlich Dorndorf, Chief Technical Officer bei INFORM
? Demnach können sich vor allem Unternehmen die Vorteile der Künstlichen Intelligenz zunutze machen. Worin liegen speziell im betrieblichen Umfeld die besonderen Stärken von KI?
Die weltweit vernetzten Märkte und der Trend zu individualisierten Produkten mit immer kürzeren Lieferfristen verlangen von Unternehmen, in jeder Situation schnell die bestmögliche Entscheidung zu treffen. Der Schlüssel zu diesen Entscheidungen sind Daten! Die Fülle und Komplexität der Daten haben zur Folge, dass der Mensch allein daraus niemals die eine ideale Entscheidung ableiten könnte. Die Herausforderung besteht nicht in der Datenmenge, vielmehr ist es die Fülle sich daraus ergebender Handlungsalternativen. Intelligente Systeme transformieren die Datenmenge in Wissen und liefern darüber hinaus Vorschläge für bestmögliche Entscheidungen. Dazu sind sie mit Algorithmen ausgestattet, die iterativ aus den Daten lernen und für den Menschen kaum sichtbare Zusammenhänge entdecken.
"Die Herausforderung besteht nicht in der Datenmenge. Die Herausforderung ist die Fülle an Handlungsalternativen!"
? Für INFORM ist die Entwicklung solcher entscheidungsintelligenter Systeme das Kerngeschäft. Wo kommen sie zum Einsatz?
Wir setzen unsere Systeme neben der Bodenabfertigung auf Flughäfen unter anderem in der Transport- und Umschlagslogistik sowie der Produktionsplanung ein. Außerdem nutzen sie Banken und Versicherungen für die Betrugserkennung. Konkret geht es dabei um Antworten auf Fragen wie: Um wieviel verzögere ich einen Flugzeugstart, um die Passagiere einer verspätet ankommenden Maschine noch mitzunehmen? Soll ein kurzfristiges Angebot über eine große Warenlieferung wahrgenommen werden? Kann ich dem Kunden in der Auftragsverhandlung einen früheren Liefertermin zusichern? Auf welchem Stellplatz muss ein Container vor der Weiterverladung zwischengelagert werden? Ist eine Geldtransaktion legal oder steckt Betrug dahinter? Zur Beantwortung dieser Fragen vertrauen Unternehmen neben der Erfahrung und Intuition ihrer Mitarbeiter auf Softwaresysteme mit KI.
"Die dystopische Befürchtung, nach der die künstliche Intelligenz den Menschen gänzlich beherrscht, gehört eher in den Bereich der Science Fiction. Oder haben Sie Angst vor einem Schachcomputer?"
? Als Oberbegriff umfasst der Terminus Künstliche Intelligenz verschiedene Methoden und Technologien. Welche davon nutzt INFORM?
Ein wesentlicher Bereich ist das Maschinelle Lernen. Damit lassen sich in großen Datenmengen brauchbare Informationen finden. Entsprechende Algorithmen filtern sinnvolle und nützliche Korrelationen heraus und können daraus sowohl Vorhersagen als auch intelligente Entscheidungen ableiten. Auf diese Weise lassen sich etwa Verspätungen von Flugzeugen vorausberechnen, so dass man die Planung der Abfertigungsprozesse am Boden frühzeitig daran anpassen kann.
? Außerdem verwenden Sie Methoden, die man auf den ersten Blick nicht mit Künstlicher Intelligenz in Verbindung bringen würde?
Richtig, allerdings hat das lediglich damit zu tun, dass diese älter sind als der Begriff Künstliche Intelligenz, so wie wir ihn heute verstehen. Wir setzen bei INFORM vor allem auf Operations Research (OR). Mitte des 20. Jahrhunderts entstanden, könnte man OR heute als eine Teil- bzw. Komplementärdisziplin zu KI bezeichnen. Das Ziel ist es, Methoden aus der Mathematik, der Statistik oder der Wahrscheinlichkeitsrechnung auf wirtschaftliche Probleme anzuwenden. Unternehmen können so unter Berücksichtigung sämtlicher Rahmenbedingungen zuverlässig berechnen, welche Vorgehensweise zum optimalen Ergebnis führt.
? Darüber hinaus setzt INFORM für einige Softwaresysteme auch Fuzzy Logic ein?
Ja, wir haben Anfang der 90er Jahre begonnen, erste wissensbasierte Systeme auf Basis von Fuzzy Logic zu entwickeln. Fuzzy Logic ermöglicht es, anhand von Regeln das menschliche Denken in unscharfen Begriffen in einer Software abzubilden. INFORM nutzt diese Technologie bei der Betrugserkennung für Banken und Versicherungen. Zusätzlich zu Operations Research haben wir im Laufe der Jahre dann verschiedene Verfahren des Maschinellen Lernens in unsere Software integriert. Je nach Einsatzgebiet einer Software sind die verschiedenen Methoden unterschiedlich ausgeprägt und ergänzen sich.
? Der Begriff Künstliche Intelligenz lässt viele Leute befürchten, dass Computer zukünftig in der gleichen Weise intelligent handeln wie der Mensch – nur besser. Wie intelligent ist KI?
Künstliche Intelligenz ist in erster Linie eine Nischenintelligenz. In klar umrissenen Bereichen können Computersysteme bessere Leistungen als ein Mensch erbringen. Die Intelligenz des erwähnten Schachcomputers bleibt auf das Schachspiel beschränkt. Die speziellen kombinatorischen Fähigkeiten kann er nicht - wie der Mensch- selbstständig auf andere Bereiche übertragen. Die dystopische Befürchtung, nach der die Künstliche Intelligenz den Menschen gänzlich beherrscht, gehört eher in den Bereich der Science Fiction. Oder haben Sie Angst vor einem Schachcomputer?
"Die nach dem Jahr 2010 geborenen Generationen lernen die Welt nur mit KI-Systemen kennen. Und viele Kinder dieser Generation werden in Jobs arbeiten, die es heute noch gar nicht gibt."
? Dennoch besteht die Befürchtung, dass KI zunehmend den Menschen ersetzt oder ihm Entscheidungen abnimmt.
Vor allem in industriellen Bereichen lassen sich Entscheidungen ohne die Unterstützung von KI- Systemen kaum in der geforderten Geschwindigkeit und Qualität treffen. Jedoch ist es wichtig, dass die Entscheidungen für den Menschen nachvollziehbar bleiben. Systeme, die in einer Art Black Box Lösungen errechnen, bei denen selbst die Entwickler nicht nachvollziehen können, wie diese zustande kommen, haben hinsichtlich ihrer Akzeptanz einen schweren Stand. So beobachten wir im Bereich der Betrugserkennung bei Banken, dass die Spezialisten dort unbedingt verstehen wollen, warum Transaktionen abgelehnt wurden. Denn dieses Wissen ist enorm wichtig, um das System zu optimieren und Trends zu erkennen, die möglicherweise nicht in den Daten enthalten sind.
? Dennoch ist davon auszugehen, dass sich die Arbeitswelt durch KI verändern wird. In welchem Maße wird dies Ihrer Meinung nach geschehen?
Der Mensch wird durch KI keinesfalls überflüssig, wie oft behauptet wird. Richtig ist jedoch, dass sich unter dem Einfluss von KI bestimmte Berufsfelder stark verändern oder ganz verschwinden. Allerdings werden im Gegenzug auch neue Berufe entstehen. Dies wird einhergehen mit einer veränderten Einstellung zur Technik, die wir heute schon beobachten. Ein erfahrener Operations Manager aus der Babyboomer-Generation bewertet den Nutzen von Chatbots sicher anders als ein nach der Jahrtausendwende geborener Management-Trainee. Und ein vor zwei Jahrzehnten ausgebildeter Fahrer eines Straddle-Carriers im Hamburger Hafen hat sicher mehr Schwierigkeiten damit, Arbeitsaufträge von einem KI-System anzunehmen als ein Digital-Native. Die nach dem Jahr 2010 geborenen Generationen lernen die Welt nur mit KI-Systemen kennen. Und viele Kinder dieser Generation werden in Jobs arbeiten, die es heute noch gar nicht gibt.
"Der Mensch wird nicht überflüssig"
? Über das betriebliche Umfeld hinaus: Wie sieht die zukünftige Entwicklung der KI aus und worin besteht die größte Herausforderung beim Umgang mit ihr?
Man kann davon ausgehen, dass KI in vielen weiteren Lebens- und Arbeitsbereichen Einzug hält. Das selbstfahrende Auto wird mit großer Wahrscheinlichkeit auf unseren Straßen fahren. Dabei wird es sich jedoch weiterhin um eine Nischenintelligenz handeln. Für die Zukunft ist vor allem die Frage nach einem verantwortungsvollen Umgang mit den Technologien zu beantworten, der die ethischen und moralischen Konsequenzen beachtet. Bei all dem, was Künstliche Intelligenz kann, muss der Mensch stets im Mittelpunkt bleiben. Er kann sich von einem System unterstützen lassen, darf jedoch die Kontrolle nicht abgeben. Dies gilt für das selbstfahrende Auto genauso wie für alle anderen Anwendungsbereiche. Die Technologie für sich ist moralisch neutral. Daher ist es umso wichtiger, dass stets nachvollziehbar bleibt, wer welche Systeme mit welchem Interesse für welche Aufgabe einsetzt und auf welcher Grundlage Entscheidungen getroffen werden. Dieser gesellschaftliche Diskurs hat gerade erst begonnen.
Mathematische Optimierung
Sie ist eine der ältesten Teilbereiche der Künstlichen Intelligenz. Mit ihr gelingt es, die Realität in ein mathematisches Optimierungsmodell zu überführen!
Lesen Sie hier, warum moderne Geschäftsprozesse ohne Mathematische Optimierung nicht auskommen!